Interview mit Paul Brimacombe von McLaren

Rasende Rechenzentren

28. November 2018, 12:24 Uhr | Von Dr. Wilhelm Greiner.

Auf dem Dell Technologies Forums in Frankfurt sprach LANline mit Paul Brimacombe, Head of IT Architecture der McLaren Technology Group. McLaren ist ein Referenzkunde von Dell Technologies: Das Unternehmen benötigt hochverfügbare High-End-Technik, überträgt es doch Sensordaten von den rollenden Rechenzentren auf der Formel-1-Rennstrecke in Echtzeit zur ML-gestützten Analyse (Machine Learning) an das mobile Datacenter am Streckenrand sowie zur Firmenzentrale und in die Cloud.

McLaren ist zwar vorrangig als Formel-1-Rennstall bekannt, die Unternehmens-IT ist aber auch zuständig für die anderen beiden Geschäftsbereiche der McLaren Group: Automotive (also Sportwagen für den Straßengebrauch) sowie "Applied Technologies". Hinter diesem Terminus verbirgt sich die Vermarktung von Technik, die aus dem Rennbetrieb gewonnen wird. Als Beispiel nannte Paul Brimacombe die Datenübertragung aus fahrenden Hochgeschwindigkeitszügen zur Auswertung für die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance). Der Rennstall macht laut McLarens IT-Chefarchitekt nur 20 Prozent des Personals von McLaren aus, er liefert aber die Wissensbasis für die übrigen Segmente.

Dieses Wissen macht McLaren wesentlich zügiger nutzbar, als es für den Fernsehzuschauer des Formel-1-Wanderzirkus den Anschein hat. Nicht nur, dass ein Rennwagen kontinuierlich - über ein dediziertes Funknetz - Daten an das Team am Rande der Rennstrecke sendet: Auf der Basis der bei den Rennen gewonnenen Analyseergebnisse wandelt sich das Fahrzeug laufend. "Ein Rennwagen ist nie ein fertiges Produkt", so Brimacombe. "80 Prozent des Fahrzeugs werden im Laufe einer Rennsaison verändert. Wir stellen laufend neue Komponenten her - alle 14 Minuten eine, rund um die Uhr."

Die Datenbasis ermittelt der Rennstall mittels umfangreicher Sensorik: "In einem Formel-1-Fahrzeug befinden sich rund 30.000 Komponeten und über 300 Sensoren", erklärt Brimacombe. "Im Test- und Probebetrieb sind es sogar noch mehr Sensoren, aber einige werden vor dem Rennen ausgebaut, um Gewicht zu sparen."

Die Sensoren liefern 100 GByte an Telemetriedaten pro Fahrzeug und Rennen - und dies mit 100 kHz, also stolze 100.000 Datenpunkte pro Sekunde. Insgesamt beläuft sich die Datenmenge eines Rennwochenendes laut dem McLaren-Mann auf über 1 TByte, zusammengesetzt aus den Messwerten der beiden Fahrzeuge sowie Simulations-, Strategie- und Analysedaten. Pro Jahr komme man so auf zwölf Milliarden Telemetriedatenpunkte. McLarens Datenschatz umfasse deshalb inzwischen rund eine Billion referenzierbare Datenpunkte.

Erst die IT, dann die Mechaniker

"Wir von der IT sind die ersten, die bei einem Rennen vor Ort sind", erzählt Brimacombe. "Wir fliegen mit zwei 36-HE-Racks ein und bauen ein Mini-Rechenzentrum auf. Erst dann kommt das Rennwagen-Team." Denn schließlich seien die Informationen, die aus den Sensordaten gewonnen werden, die Arbeitsgrundlage für den gesamten Rennstallbetrieb: "Viele der Daten sind betriebskritisch", so der IT-Mann, "zum Beispiel die Werte der Hitzesensoren in der Batterie oder die Daten zum Reifendruck."

Entsprechend hochverfügbar müsse die IT-Infrastruktur eines Rennstalls sein: "Wenn diese Daten aufgrund einer Störung der IT-Systeme nicht vorliegen, haben wir ein Problem, das die Sicherheit des Fahrers berühren könnte. Dann müssten wir Alonso zum Boxenstopp anhalten lassen - und 85 Millionen Menschen aus 180 Ländern schauen uns dabei zu."

Dank des Dell-Equipments, so Brimacombe, erziele man eine extrem hohe Verfügbarkeit. Den genauen Wert wollte er gegenüber LANline nicht nennen. Er betonte aber, man liege während der Rennen im Bereich der Netzbetreiber - somit also bei mindestens 99,999 Prozent Verfügbarkeit.

Diese Stabilität erzielt das Mini-Datacenter unter erschwerten Bedingungen: "In Abu Dhabi weht uns der Wind schon mal Sand in unser Rennbahn-RZ", berichtet Brimacombe, "und am Ende der Saison müssen wir die Server mit dem Staubsauger reinigen, um den Schmutz zu beseitigen."

Todfeind Latenz

Neben der Hochverfügbarkeit der Systeme ist die Latenz bei der Datenübertragung das größte Problem für die Rennstall-IT: "Wir versuchen stets, eine möglichst niedrige Latenz zu erzielen", sagt der IT-Architekt. Deshalb werde der Großteil der Daten gleich im Fahrzeug aggregiert und nur ein Teil an das RZ am Rennbahnrand übertragen. Diese Sensordaten gilt es noch während eines Rennens zu analysieren, um den Betrieb des Fahrzeugs für die restliche Distanz zu optimieren. Dazu sendet das McLaren-Team die Daten zur Firmenzentrale im britischen Woking sowie in die Cloud: "Wir haben eine hybride Multi-Cloud-Umgebung und nutzen AWS ebenso wie Azure", erläutert Brimacombe.

Im eigenen RZ nutzt McLaren Dells PowerEdge-MX-Server neben hyperkonvergenten Systemen der Baureihe VX Rack und VX Rack Flex, softwareseitig VMware-Technik ebenso wie Container und Kubernetes für die Cloud-Lösungen. "Diese hybride Architektur erlaubt es uns, mit der On-Premises-IT so flexibel zu agieren wie in der Cloud", betont Brimacombe.

Manche Workloads, so berichtet McLarens IT-Architekt, habe man in die Cloud verlagert, dann aber wieder ins unternehmenseigene Datacenter geholt: "Wir haben eine IT-Infrastruktur, die über Jahrzehnte gewachsen ist. Da ist nicht jede Applikation für den Betrieb in der Cloud geeignet." Eine dynamische Skalierung lokaler Workloads in die Cloud nutze man deshalb nicht.

Aktuell überlege McLaren, direkte Breakouts zu lokalen Cloud-Anbietern einzurichten, um bei Rennen beispielsweise in Australien die Netzwerk-Latenz weiter zu minimieren. Derzeit praktiziere man aber ein derartiges "Follow the Race"-Computing noch nicht. Allerdings nutze McLaren aus Kostengründen zeitweise Cloud-Kapazitäten in Asien, wenn es dort Nacht ist und die Cloud-Services damit kostengünstiger sind.

Ein weiterer Aspekt, der Latenz in das System einbringen kann, ist der Faktor Mensch. Deshalb, so Brimacombe, treffe man bei Rennen Entscheidungen immer sofort, sobald das nötige Wissen vorliegt: "Wir haben keine Zeit für eine Befehlskette."

ML für F1

Machine Learning nutzt die McLaren Group für mehrere Einsatzbereiche: zur Erkennung von Auffälligkeiten oder Anomalien ebenso wie zur Trendanalyse. "Unsere Datenfülle zwingt uns praktisch zum Einsatz von ML, denn ein Mensch wäre damit schlicht überfordert", erläutert Brimacombe. "Zugleich simulieren wir mit diesen Daten laufend in Echtzeit, was wir als nächstes tun werden. Wir betreiben High-Performance Computing in Echtzeit in der Cloud. Und wir spielen die Ergebnisse während des Rennens laufend an das Racing-Team zurück."

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"Wir betreiben High-Performance Computing in Echtzeit in der Cloud", so Paul Brimacombe, Head of IT Architecture der McLaren Technology Group. Bild: Dr. Wilhelm Greiner

Ebenfalls Gegenstand der ML-basierten Analyse sind die Logdaten der McLaren-eigenen IT-Umgebung: Switches und Router ebenso wie von Server, Endpunkte und das Security-Equipment. Die ML-Auswertung dient hier dem Ziel, die Sicherheit der Infrastruktur sicherzustellen, und nutzt dazu das Dell-Angebot SecureWorks.

Strategieseitig setzt Brimacombe auf ein zweistufiges Vorgehen: Es gibt Drei-Jahres-Strategien mit Definition des IT-Wertbeitrags und des Strategie-Frameworks, die Brimacombes Team dann in Jahrespläne überträgt. In diesen Drei-Jahres-Plänen konzentriert man sich auf fünf wesentliche Transformationsthemen, denn, so Brimacombe: "Ein 60-seitiges Strategiedokument würde schließlich niemand lesen." Diese fünf ausgewählten Themen bilden dann die Basis für die IT-Roadmaps und die individuellen Zielsetzungen der Teilbereiche, etwa für die beiden CRM-Systeme, die McLaren einsetzt (eines für die Automotive- und Applied-Technologies-Kunden, eines für die Formel-1-Fans).

"Der Motorsport ist die Speerspitze dessen, was heute mit IT möglich ist", resümiert Paul Brimacombe. "Die laufende ML-basierte Optimierung, die wir betreiben, kann künftig Abläufe in zahlreichen Branchen erleichtern - von der Reise- bis hin zur Finanzplanung."

Dr. Wilhelm Greiner ist freier Mitarbeiter der LANline.

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