Virtual-Desktop-Hype kritisch hinterfragt

VDI vs. SBC

28. Januar 2011, 6:00 Uhr | Alexander Vierschrodt, Produkt-Manager bei H+H Software in Göttingen

Das Analystenhaus Gartner schätzt das weltweite Umsatzvolumen mit VDI-Lösungen (Virtual Desktop Infrastructure) bis zum Jahr 2013 auf rund 65 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Derzeit sind es knapp zwei Milliarden. Trotz der zu erwartenden sprunghaften Entwicklung stellt sich die Frage: Ist VDI wirklich das Allheilmittel für das Desktop-Management?

Virtualisierung bestimmt die Entwicklung des PC- und Netzwerkmarkts in den kommenden Jahren –
daran besteht unter Experten kein Zweifel. Die Analysten von Gartner schätzen, dass die
Virtualisierung von Desktops bis zum Jahr 2013 einen Anteil von etwa 40 Prozent am weltweiten Markt
für professionelle PCs haben wird. Heute macht VDI gerade mal rund ein Prozent des Umsatzes aus.
Gartner sieht vor allem grundlegende Veränderungen in der Art der PC-Nutzung und der
Unternehmensstrukturen als Auslöser für diese Entwicklung. Mitarbeiter werden innerhalb des
Unternehmens flexibler eingesetzt, zum Teil arbeiten sie von zu Hause aus. Der moderne Umgang mit
Desktops soll diese Anforderungen bestmöglich erfüllen und dabei gleichzeitig Kosten und Aufwand
senken.

Doch hält die VDI-Technik diesen Ansprüchen stand? Oder gibt es mit der bewährten
Terminal-Server-Technik (Server-Based Computing, SBC) eine Alternative, die der
Desktop-Virtualisierung den Platz an der Sonne streitig machen kann? Die Antworten auf diese Fragen
geben die Unternehmen selbst. Dabei spielen die individuellen Anforderungen eine Rolle, aber auch
Unternehmensstruktur und -größe sowie die Branchenzugehörigkeit.

Kleinbetriebe fahren besser ohne Virtualisierung

Die Argumente für die Einführung neuer Techniken sind fast immer dieselben: Es gilt, Kosten und
Administrationsaufwand zu verringern. Gleichzeitig sollen die Anwender flexibler und sicherer auf
benötigte Daten und Anwendungen zugreifen können – idealerweise unabhängig von einem fixen
Standort. Doch gerade der Kostenaufwand ist bei Kleinunternehmen meist schon das K.O.-Kriterium.
Unterhalb einer kritischen Größe – je nach Branche liegt diese bei fünf bis zehn Mitarbeitern –
sind weder VDI noch SBC sinnvoll. Die Hersteller entsprechender Lösungen führen zwar
Beispielrechnungen an, wonach sich Virtualisierung schon ab fünf Anwendern lohnt. In den oft sehr
hypothetischen Beispielrechnungen mag dies stimmen, doch gibt es Hemmschuhe, zum Beispiel die
vergleichsweise hohen Kosten der Erstanschaffung. Entscheidend ist jedoch oft, dass die
Virtualisierungstechniken – VDI mehr noch als SBC – einen versierten Administrator voraussetzen.
Dessen Aufgaben übernehmen jedoch gerade in Kleinfirmen einzelne Mitarbeiter meist nebenbei. Hier
fehlt es dann oft an Expertenwissen, das für die Administration „einfacher“ PCs nicht unbedingt
erforderlich scheint.

Senkt Virtualisierung wirklich die Kosten?

Mittlere und große Unternehmen hingegen müssen genau kalkulieren, ob sich Virtualisierung für
sie rechnet. Microsoft zeigt sich hier skeptisch, was das Thema Kostensenkung betrifft. Auf seiner
Website führt Microsoft erhebliche Investitionskosten für Hard- und Software sowie für
Netzwerkausbau und Speicher ebenso als Ursache an wie erforderliche Optimierungsmaßnahmen zur
Verwaltung und Bereitstellung einer Vielzahl virtueller Desktops. Die TCO- oder
Gesamtbetriebskostenrechnung fällt gegenüber einer reinen Client/Server-Infrastruktur dennoch meist
zugunsten von VDI aus. Thin-Client-Hersteller Igel sieht in einer sehr wohlwollenden
Beispielrechung das Kostenverhältnis je Arbeitsplatz von PC zu VDI bei rund 800 zu 600 Euro.
Rechnet man die bei Microsoft erforderliche VECD-/VDA-Lizenz und die Software Assurance mit ein,
reduziert sich der Kostenvorteil der VDI-Lösung sogar noch einmal, zumal diese Kosten im Gegensatz
zu den RDS CALs (Remote Desktop Services Client Access License) jährlich neu anfallen.

Als wirtschaftliche Alternative kommt eine seit Jahren bewährte und ständig weiterentwickelte
Technik ins Spiel: Server-Based Computing, bei Microsoft umgesetzt in Form der Remote Desktop
Services. Das Potenzial von SBC zur Kosteneinsparung ist bereits in zahlreichen Studien und
Whitepapern thematisiert worden. Natürlich erfordert auch SBC eine Anfangsinvestition – vor allem
in die Terminal-Server-Hardware und ein leistungsfähiges Netzwerk. Die Amortisation dieser Kosten
über die Laufzeit einer SBC-Lösung ist heutzutage allerdings unstrittig. Hinzu kommt, dass die
VDI-Technik bei vergleichbaren Anforderungen höhere Ansprüche an die Server-Hardware stellt als die
Terminal-Server-Technik. Experten nehmen bei der Benutzerzahl pro CPU-Kern ein Verhältnis von zirka
2:1 zugunsten der Terminal-Server-Technik an: Bezogen auf moderne Server-Hardware liegen die
Grenzen für VDI bei etwa zehn, die für SBC bei rund 20 Benutzern pro CPU-Kern.

Sinnvoll bei der Einführung einer Virtualisierungstechnik ist in jedem Fall der Schutz
vorhandener Investitionen. Daraus ergeben sich zwangsläufig Mischformen der verschiedenen
Techniken, die für ein Unternehmen durchaus auch dauerhaft von Vorteil sein können. So haben etwa
leistungsstarke Fat-Clients gerade bei Multimedia-Anwendungen weiterhin ihre Berechtigung. Selbst
ältere PCs sind bis zu ihrem „Ableben“ produktiv weiter benutzbar, wenn durch die Virtualisierung
die Rechenleistung ins Rechenzentrum verlegt wird, sodass die Rechner lediglich noch als Terminal
dienen.

Die Anbieter von Virtualisierungslösungen – sei es nun SBC oder VDI – werben unter anderem stets
mit einer Verringerung des Administrationsaufwands gegenüber physischen Desktops. Gerade in kleinen
und mittleren Unternehmen sind spezialisierte Administratoren oft Mangelware. Hier punktet die
SBC-Technik, weil damit auch wenig versierte Administratoren Anwendungen leicht zentral
installieren und bereitstellen können. Auch bei Unternehmen mit einer hohen Anzahl an (kleinen)
Niederlassungen hat sich die SBC-Technik bereits vielfach durchgesetzt. Sie erlaubt es den
Unternehmen, neue Büros innerhalb kürzester Zeit in Betrieb zu nehmen und den Mitarbeitern alle
erforderlichen Daten und Anwendungen zur Verfügung zu stellen – fast auf Knopfdruck. Voraussetzung
für den komfortablen Umgang mit einer SBC-Infrastruktur ist aber in jedem Fall eine leistungsfähige
Management-Lösung. Hier gibt es neben dem Klassiker Citrix auch kostengünstige Alternativen.

Fazit

SBC oder VDI – diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Antwort muss wohl lauten:
Eine gesunde Mischung aus vorhandener IT-Infrastruktur und Virtualisierungstechnik bringt für
nahezu jedes Unternehmen Vorteile. Wie die Mischung genau aussieht, hängt von den individuellen
Anforderungen ab. Ein Fehler wäre es jedenfalls, die Virtualisierung als Heilsbringer der
PC-Branche der nächsten Jahre zu sehen. Zum einen gibt es speziell bei VDI noch keine
Langzeiterfahrungen. Zum anderen müssen Unternehmen, die aufs falsche Pferd setzen, sogar mit
zusätzlichen Kosten und Problemen rechnen.

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