Normen und Standards

Fallstricke für das Smart Building

24. April 2017, 8:00 Uhr | Von Jochen Sauer.

Zwar geht der Trend eindeutig in Richtung Smart Building, dennoch ist die immer stärkere Verschmelzung der diversen Gewerke nicht ganz unproblematisch.

Die Sicherheitstechnik mit ihren verschiedenen Komponenten wie Videoüberwachung oder Zutrittskontrolle ist inzwischen ein fester Bestandteil des Smart Buildings. Damit alle technischen Komponenten der verschiedenen Systeme miteinander kommunizieren können, sollten Bauherren, Architekten, Fachplaner und Facherrichter gültige Normen und Standards bereits bei der Planung berücksichtigen. Dabei ist das fachliche Know-how aller an der Umsetzung beteiligten Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Angefangen beim Fachplaner, der mit dem Bauherrn auf Basis der Betriebsanforderung die fachliche Planung erstellt, bis hin zum Facherrichter, der für die Umsetzung der Planung auf der Baustelle verantwortlich ist. Leider macht sich bei den Fachplanern sowie bei den Facherrichtern ein Fachkräftemangel bemerkbar.

Eine Fachplanung berücksichtigt alle Aspekte in der Betriebsanforderung, wie zum Beispiel elektronische, mechanische, aber auch die organisatorischen und personellen. Ein nicht unwesentlicher Aspekt ist hierbei die Bewusstseinsschärfung des Anwenders. Denn hier werden oftmals aufgrund fehlenden Fachwissens falsche Prioritäten gesetzt.

Die Grundlage einer jeden Beratung sollten das Wissen um die Aufgabenstellung und die dazu gültigen Normen darstellen. Denn durch fehlendes Wissen kann es mitunter passieren, dass Anwender ihre IT-Infrastruktur zwar sehr gut schützen, doch die physische Sicherheit vernachlässigen und den Kriminellen somit ungewollt Tür und Tor öffnen.

Umso erstaunlich ist es, dass die gültigen Normen, etwa im Bereich Videosicherheitstechnik, im Bauwesen nur rudimentär bekannt sind und man diese nur selten verwendet. Dabei ergibt es Sinn, die relevanten Normen bereits bei der Auftragsvergabe beziehungsweise den Ausschreibungen zu berücksichtigen. Betreiber, Planer und Errichter erhalten durch eine normative Definition der Qualitäten zudem eine höhere Rechtssicherheit und können somit gegebenenfalls im Nachhinein Diskussionen über das Ergebnis der umgesetzten Videoüberwachungstechnik sowie langwierige Gerichtsverfahren vermeiden.

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Eine Fachplanung berücksichtigt bei der Umsetzung von Sicherheitstechnik im Gebäude alle Aspekte in der Betriebsanforderung. Bild: Axis

Normen machen Planer und Errichter erst zu Fachleuten und helfen zum Beispiel, Videosicherheitsanlagen korrekt zu planen, zu installieren und zu betreiben. Die folgenden sieben Normen spielen bei Videosicherheitsanlagen eine große Rolle:

  1. DIN EN 62676-1-1:2014-11; VDE 0830-7-5-11:2014-11 Videoüberwachungsanlagen für Sicherheitsanwendungen - Teil 1-1: Systemanforderungen - Allgemeines.
  2. DIN EN 62676-1-2 Berichtigung 1:2016-02; VDE 0830-7-5-12 Berichtigung 1:2016-02 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 1-2: Systemanforderungen - Allgemeine Anforderungen an die Videoübertragung.
  3. DIN EN 62676-2-1:2014-11; VDE 0830-7-5-21:2014-11 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 2-1: Videoübertragungsprotokolle - Allgemeine Anforderungen.
  4. DIN EN 62676-2-2:2014-11; VDE 0830-7-5-22:2014-11 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 2-2: Videoübertragungsprotokolle - IP-Interoperabilität auf Basis von HTTP- und REST-Diensten.
  5. DIN EN 62676-2-3:2014-11; VDE 0830-7-5-23:2014-11 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 2-3: Videoübertragungsprotokolle - IP-Interoperabilität auf Basis von Web-Services.
  6. DIN EN 62676-3:2016-01; VDE 0830-71-3:2016-01 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 3: Analoge und digitale Videoschnittstellen.
  7. DIN EN 62676-4:2016-07; VDE 0830-71-4:2016-07 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen - Teil 4: Anwendungsregeln.

Während die letztgenannte Norm, die DIN EN 62676-4 (Nummer 7), bereits in der Branche zum Einsatz kommt, werden Nummer vier bis sechs eher stiefmütterlich behandelt, da diese selten gefragt (DIN EN 62676-3) oder viel zu lang sind (DIN EN 62676-2-2 und DIN EN 62676-2-3). Doch Nummer eins und zwei in Kombination mit Nummer sieben ergeben durchaus Sinn.

Die DIN EN 62676-1-1 und die DIN EN 62676-1-2 (Nummer eins und zwei) beschreiben, wie die Qualität der Übertragung beziehungsweise des Systems sein sollte. Diese beiden Normen sollen eine einfache Anleitung zur Spezifizierung des Systems an die Hand geben. Dabei stuft die Norm eine Anlage in sogenannte Risiko- und Sicherungsgrade ein. Je höher das Risiko, desto höher muss die technische Güte der Anlage - also des Systems und der Übertragung - sein. Ein hohes Risiko haben zum Beispiel kritische Infrastrukturen, während das Risiko eines kleinen Kiosks eher sehr gering ist. Insgesamt beschreibt die Norm 18 Funktionen und teilt das Risiko in vier Grade ein. Die Funktionen betreffen zum Beispiel die Speicherung, die Verbindung des Systems, Sabotageerkennung oder Datenkennzeichnung. Auch Zeitprotokolle, die alarmbezogene Informationen speichern, sind Teil der Funktionen. Welche Funktionen die Anlage benötigt, erfahren Fachplaner, wenn sie die Gradeinteilung vornehmen. Diese basiert wiederum auf den in der Norm beschriebenen Anforderungen.

Sicherheitsgrade und Latenz

Die Latenzzeit beschreibt die Zeit zwischen dem Ereignis und der Anzeige desselben. Bei einer Live-Bild-Übertragung sollte die Latenzzeit (also die Verzögerung zwischen dem echten Ereignis und der Anzeige beziehungsweise der Aktion) bei einer guten Anlage rund 100 ms betragen. Das entspricht dem Sicherheitsgrad S4 (siehe Tabelle), der niedrigste Sicherheitsgrad S1 verlangt hingen nur eine maximale Latenzzeit von 600 ms. Ähnliches gilt für die Umlaufzeit: Bei Dome-Kameras beträgt die maximale Umlaufzeit für den Sicherheitsgrad S4 200 ms, während bei S1 nur eine maximale Umlaufzeit von 700 ms gefordert ist.

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Beispiele für die Leistungsanforderung an das Video-Streaming und die Wiedergabe des Videodatenstroms. Bild: Axis

Im alltäglichen Gebrauch sollten Fachplaner den einfachsten Ansatz verfolgen, der die Bedürfnisse des Kunden im Blick hat und sich an den Betriebsanforderungen orientiert. Dabei entscheidet der Fachplaner den passenden Sicherheitsgrad und wendet diesen dann auf alle 18 Funktionen an. Sollte ein einheitlicher Sicherheitsgrad nicht möglich sein, dann müssen die Sicherheitsgrade der Funktionen einzeln eingeteilt werden. Die richtige Einteilung in die Risiko- und Sicherheitsgrade ist essenziell, da die Integrität und Widerstandsfähigkeit der gesamten Videosicherheitsanlage davon abhängt.

Normenpflicht bei kritischen Infrastrukturen

Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei diesen vier Klassen um allgemeingültige Normen handelt. Sie müssen beim Schutz kritischer Infrastrukturen verpflichtend zum Einsatz kommen. Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Beispielsweise hierfür sind Kraftwerke oder Krankenhäuser.

Leider finden diese Normen heutzutage immer noch nicht die gewünschte Beachtung. Dabei müssen gerade Fachplaner das Risiko des Kunden in der Planung berücksichtigen. Ärgerlicherweise passiert es, dass Kriterien falsch gewichtet werden oder ein Kriterium bei der Planung komplett außer Acht gelassen wird, da zum Beispiel seine Bedeutung verkannt wurde.

Während die DIN EN 62676-4 inzwischen häufiger Verwendung findet, berücksichtigen viele Fachplaner leider immer noch nicht die DIN EN 62676-1-1 und die DIN EN 62676-1-2, da das Verständnis dieser Normen fehlt.

Jochen Sauer ist Business Development Manager bei Axis Communications ().

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