Quantencomputer sollen bei der Simulation genregulatorischer Netzwerke helfen 

Molekularbiologie trifft auf Quantenphysik

24. März 2023, 12:00 Uhr | Jörg Schröper
v.l.n.r.: Prof. Hans Kestler, PD Dr. Sabine Wölk, Felix Rupprecht, Dr. Julian Schwab, Felix Weidner.
© Annika Kestler/Uni Ulm

Biologische Systeme sind hochkomplex. Ihre Steuerung erfolgt vor allem über genregulatorische Netzwerke, in denen Gene, Proteine und RNA auf vielfältige Art interagieren. Die Analyse solcher systembiologischen Fragestellungen mit Hilfe von Computermodellen ist extrem rechenintensiv. Forscherinnen und Forscher aus Ulm und Jena konnten nun in einer Proof-of-Principle-Studie nachweisen, dass es möglich ist, genregulatorische Netzwerke mit Hilfe von Quanten-Computing realitätsnah abzubilden. Dabei kommen Algorithmen zum Einsatz, die logikbasierende mathematische Modelle rechnerisch bewältigen können. Veröffentlicht wurde die Studie in der Cell-Zeitschrift Patterns.

Ohne Gene kein Leben. Sie kodieren nicht nur biologische Bauanleitungen, sondern bestimmen eine Vielzahl zellulärer Prozesse. Dabei ist die Steuerung der genetischen Aktivität durch die Wechselwirkung einer Vielzahl an hemmenden und aktivierenden Faktoren bestimmt. Um solche vielgestaltigen molekularbiologischen Interaktionen nachzuvollziehen und am Computer zu modellieren, braucht es ungeheure Rechnerleistungen. „Wir haben uns deshalb gefragt, ob Quantencomputer und Quantenalgorithmen hier möglicherweise Abhilfe schaffen könnten. Diese können ein Vielfaches an Rechenkapazitäten realisieren und weitaus größere Datenmengen verarbeiten als konventionelle Rechner“, erklärte Studienkoordinator Professor Hans Kestler, Leiter des Instituts für Medizinische Systembiologie an der Universität Ulm.

Mitgewirkt an der Quantenalgorithmen-Studie haben auch PD Dr. Sabine Wölk sowie Felix Rupprecht. Die Forscherinnen und Forscher vom Institut für Quantentechnologien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR-QT) in Ulm haben die Algorithmen auf echter Quantenhardware implementiert.
 
„Man kann aber natürlich nicht einfach so losrechnen, sondern muss vorher gut überlegen, welche mathematischen Modelle am besten geeignet sind, um solche anspruchsvollen systembiologischen Fragestellungen realitätsnah zu modellieren“, gab Felix Weidner zu bedenken. Der Doktorand vom Institut für Medizinische Systembiologie gehört wie sein Institutskollege Dr. Julian Schwab zu den Erstautoren der Studie. Die Herausforderung besteht darin, biologische Interaktionen zwischen hemmenden und aktivierenden Genen in Quantenschaltkreise zu übersetzen. Das Forschungsteam hat sich diesbezüglich für den Einsatz bestimmter logikbasierender Modelle entschieden, genauer gesagt für sogenannte Boolesche Netzwerke.

Diese arbeiten mit Booleschen Operatoren wie AND, OR und NOT und bieten die Möglichkeit, komplexe Interaktionsbeziehungen abzubilden. Mit ihrer Hilfe lassen sich einerseits stabile Zustände in den Netzwerken vorhersagen als auch Knotenpunkte für Interventionen bestimmen. Übertragen auf die genregulatorischen Netzwerke sind dies die potenziellen Angriffspunkte für hemmende oder auch aktivierende Transkriptionsfaktoren. 
 
„Die Rechenarbeit für solche mathematischen Modelle ist exorbitant. Während die Komplexität solcher dynamischen Modelle wie Boolescher Netzwerke exponentiell wächst und damit eine große Herausforderung für klassische Rechner darstellt, lässt sich die Fähigkeit eines Quantencomputers, diese Dynamik abzubilden, exponentiell mit der Anzahl der Qubits steigern“, erläuterte Bioinformatiker Hans Kestler.

Für die Studie wurden Quantenalgorithmen entwickelt, die enorm leistungsfähig sind und die auf der Grundlage des sogenannten Grover-Algorithmus basieren. Diese Quantenalgorithmen, die zur Datensuche eingesetzt werden, können solche Suchprozesse um ein Vielfaches beschleunigen: Sie nutzen dabei Quantengrundprinzipien wie Superposition und Verschränkung und erreichen damit exponentielle Zuwächse an möglichen Berechnungen.
 
Realisiert wurde das Projekt sowohl auf IBM-Quantencomputern als auch auf einem System der Firma IonQ, wobei ganz verschiedene Ansätze zur Implementierung der Qubits verfolgt wurden. Zusätzlich wurden Quanten-Computing-Simulationen auf herkömmlichen lokalen Servern durchgeführt. Das genregulatorische Netzwerk, das für die Studie modelliert wurde, spielt eine Rolle bei der Entwicklung der Großhirnrinde in Säugetieren.

Mit diesem Proof of Principle-Test ist es dem Forschungsteam gelungen, eine tragfähige Brücke zu schlagen zwischen der Molekularbiologie, der Informatik und der Quantenphysik. „Wir sind fest davon überzeugt, dass sich mit Hilfe von Quanten-Computing in Zukunft viele neue medizinisch relevante Erkenntnisse gewinnen lassen“, so die Forscherinnen und Forscher.

Das Projekt ist eine Gemeinschaftsarbeit der Universität Ulm, des Instituts für Quantentechnologien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR-QT) und des Leibniz-Instituts für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Gefördert wurde die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg.
 

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