Elektromagnetische Immunität

Geschirmte Systeme im 10?GBit/s-Test

13. Mai 2010, 10:12 Uhr | Klaus Koller/jos

Die GHMT (Gesellschaft für Hochfrequenz-Messtechnik) hat im vergangenen Jahr eine herstellerunabhängige und neutrale Studie als "Vergleich der Leistungsfähigkeit geschirmter und ungeschirmter Systeme vor Ort" durchgeführt. Die Untersuchung dauerte rund ein Jahr und nahm die von verschiedenen Herstellern angebotenen Kupfer-Verkabelungssysteme unter die Lupe.

Die heutigen höheren Verarbeitungs- und Übertragungsgeschwindigkeiten erfordern eine stärkere
Berücksichtigung der EMV (elektromagnetische Verträglichkeit), die die Störfreiheit elektrischer
oder elektronischer Gerätschaften mit ihrer Umgebung beschreibt. Die EMV-Performance eines
Kabelsystems hat einen großen Einfluss auf die gesamte Leistungsfähigkeit, da die Stärke der auf
dem Übertragungsweg eingefangenen Störungen den maximalen Informationsgehalt einer Datenübertragung
begrenzt. In der Praxis beschreibt dies eine hohe Betriebssicherheit sowie eine geringe
Bitfehlerrate.

Die seit September 2009 neu in den Standards ISO IEC 11801 und DIN EN 50173 eingebrachten
EMV-Parameter wie die CA (Coupling Attenuation) oder das ANEXT (Alien Near End X-Talk) beschreiben
diese elektromagnetischen Eigenschaften der Verkabelung erstmals mit normativen Grenzwerten und
sollten bei der Auswahl der eingesetzten Komponenten und der Planung berücksichtigt werden.

CA – Kopplungsdämpfung

Die Kopplungsdämpfung ermöglicht einen direkten Vergleich zwischen geschirmten und ungeschirmten
Twisted-Pair-Kabeln. Sie stellt das Verhältnis zwischen der symmetrisch gespeisten Signalleistung
und der an die Umgebung abgegebenen Störleistung dar. Bild 1 stellt einen typischen Messaufbau im
Labor dar. Zur Durchführung dieser Messung sind bis zu drei Stunden (zwei Stunden
Vorbereitungszeit, 40 Minuten Messung und Auswertung) zu veranschlagen.

Ein geschirmtes Kupferkabel übertrifft die Spezifikation für CA per Design. Resultierend aus der
hohen Kopplungsdämpfung (> 10 dB zur Norm bei Klasse EA) wird eine Messung von ANEXT
im Feld unnötig. ANEXT und PS ANEXT (Power Sum ANEXT) gewinnen bei der Verlegung von Kabelbündeln
an Bedeutung. ANEXT entsteht durch Signaleinkopplung oder Abstrahlung anderer in der Nähe verlegter
Kabel. Diese Einkopplungen treten unkorreliert zum Nutzsignal auf und lassen sich dadurch ebenso
wie Rauschen nicht herausfiltern.

PS ANEXT entspricht den leistungssummierten Auswirkungen von Fremdnebensprechen. Damit führt
eine fehlende Schirmung dazu, dass sich das elektromagnetische Feld auch außerhalb des Kabels
ausbreitet und dies benachbarte Kabel im Signalfrequenzbereich stören kann. UTP-Hersteller
garantieren – wenn überhaupt – eine 0dB-Reserve zur Grenzkurve bei Messungen im Labor. Daraus sind
­ANEXT-Abnahmemessungen für UTP-Kabelsysteme im Feld notwendig. Moderne Feldmessgeräte benötigen
zwischen fünf und 20 Minuten für eine PS-ANEXT-Messung, und zwar abhängig vom Typ des verwendeten
Feldmessgeräts sowie dem dafür vorgegebenen Messaufbau.

ANEXT ist am Ausgang des Senders am stärksten, da das Übertragungssignal dort am größten ist.
Dadurch entsteht der größte ANEXT-Beitrag auf den ersten 20 Metern, die die aktive Hardware und das
Rangierfeld enthalten. Dies macht die Notwendigkeit eines durchgehenden Schirmungskonzepts klar:
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich ein geschirmtes System bei Verwendung von ungeschirmten
Rangierkabeln wie ein durchgehend ungeschirmtes System verhält.

Das im Kabel erzeugte elektromagnetische Feld hat nicht nur Auswirkungen auf benachbarte Kabel,
sondern auch auf die sich in direkter Umgebung befindenden Geräte (zum Beispiel Rundfunk). Dieses
Verhalten heißt EM-Störfeldaussendung. Die Höhe der abgestrahlten Funkstörfeldstärke wird durch die
EMV-Qualität des angeschlossenen Verkabelungssystems beeinflusst. Je besser die EMV-Qualität des
Verkabelungssystems, desto geringer die abgestrahlte Funkstörfeldstärke. Die Studie zeigt, dass nur
sehr gut geschirmte Systeme die schärfste Grenzwertanforderung von 37 dBµV/m (230 MHz bis 1 GHz)
nach EN 55022 Klasse B (Wohnbereich) einhalten.

Selbst bei der kritischen Anordnung aller Geräte und Kabelstränge im Absorberraum, einer
Worst-Case-Anordnung wie sie etwa in der Praxis bei Rechenzentren oder Server-Räumen auftritt, hält
nur das System 5 (S/FTP) die schärfste Grenzwertanforderung mit sehr guten Reserven ein.

LCL-Unsymmetriedämpfung

Die Unsymmetriedämpfung eines Kabels beschreibt auf einer logarithmischen Skala, wie viel
Leistung vom Gegentaktsystem (beide Adern gleicher Spannungsamplitude mit 180 Grad
Phasenverschiebung) in das Gleichtaktsystem (oder umgekehrt) übergekoppelt. Unterschiedliche
Wanddicken der Isolierung von Leitern, ungleichmäßige Verdrillung oder wechselnde Abstände der
Innenleiter zum Schirm sind Ursachen für die Unsymmetrie. Die Adern eines foliengeschirmten Paares
sind stark mit ihrem Schirm gekoppelt, wodurch Unterschiede in den beiden Adern die Symmetrie
beeinträchtigen können.

Weil die Adern eines ungeschirmten Paares stark miteinander und weniger mit ihrer Umgebung
verkoppelt sind, haben Unterschiede in den beiden Adern wenig Einfluss auf die Symmetrie. Allgemein
ist LCL sehr stark von der Homogenität der Kabelfertigung abhängig. LCL wurde lange Zeit für
ungeschirmte Systeme als synonyme "EMV-Ersatzgröße" für PS ANEXT und CA propagiert. Die von der
GHMT ermittelten Ergebnisse widerlegen diesen Ansatz. LCL ist danach keine Garantie für den Schutz
vor Signaleinkopplungen oder der Abstrahlung von Kabeln. Die Studie zeigt, dass auch geschirmte
Systeme wie das System 05 hervorragende Testergebnisse für LCL, PS ANEXT und CA liefern können.

M.I.C.E.

Die strukturierte Verkabelung kommt nicht ausschließlich in Bürogebäuden zum Einsatz. Die
M.I.C.E.-Klassifizierung nach ISO/IEC 61918 Ed.1.0:2007-12, auf die sich auch die
DIN-EN-50173-Normreihe bezieht, bildet unterschiedliche Umgebungsbedingungen ab und hilft dabei,
die für die betreffende Umgebung passenden Verkabelungskomponenten auszuwählen. Im Fall der
elektromagnetischen Umgebung beschreibt M.I.C.E. typische Störphänomene, die auf Verkabelungen in
unterschiedlicher Stärke einwirken können (Klassen E1 für schwache Störpegel, E3 für starke).

Beispielumgebungen:

E1: Büro-Umgebung,

E2: Umgebungen mit gehobenen elektromagnetischen Störeinflüssen (zum Beispiel: direktes Umfeld
von Servern oder Leuchtstoffröhren) und

E3: Nähe von starken elektromagnetischen Störeinflüssen (zum Beispiel im Umkreis von Radio- oder
GSM-Sendestationen).

Die Beaufschlagung der Störparameter erfolgte gemäß der M.I.C.E. Umgebungsklassen E1/E2/E3, wie
sie in DIN EN 50173-1 definiert sind. Ein weiterer Praxistest hat gezeigt, dass sich ein
geschirmtes Verkabelungssystem unter Verwendung ungeschirmter Patch-Kabel wie ein ungeschirmtes
System verhält. Ungeschirmte Patch-Kabel zerstören die EMC-Performance eines geschirmten
Systems.

Bei geschirmten Systemen sind oft Ausgleichsströme (auch Schirmströme genannt) vorhanden.
Ursache dafür sind vor allem Magnetfelder energietechnischer Einrichtungen, die
Installationsschleifen durchsetzen. Dazu stellte der Praxistest fest, dass auftretende
Ausgleichsströme keinen Einfluss auf die Datenübertragung haben und sich durch einen ordnungsgemäß
ausgeführten Potenzialausgleich auf ein Minimum reduzieren lassen.

Schirmströme und ­Potenzialausgleich

Da die Schirme der Twisted-Pair Leitungen Bestandteil des Potenzialausgleichssystems sind,
fließen dort alle Ströme, die in das Potenzialausgleichssystem eines Gebäudes oder einer Anlage
eingekoppelt sind. Abhängig von Intensität und Frequenzbereich können diese Schirmströme Störungen
der Datenkommunikation bewirken. Zu vermeiden ist daher, dass das Wechselstromversorgungssystem
einer Anlage das Potentzialausgleichssystem in die Energierückleitung einbezieht. Diese
Anforderungen erfüllt zum Beispiel ein TN-S-System mit getrennten Leitern für N und PE.
Ausführliche Richtlinien zum Aufbau eines Netzsystems zur Versorgung informationstechnischer
Anlagen liefert die EN 50310:2000/21/.

DIN EN 50174-2: vermaschte Potenzialausgleichs­anlage

Ein schlecht installiertes Erdungs- und Potenzialausgleichssystem kann schwer identifizierbare
Fehlfunktionen verursachen. Um die EMV-Richtlinie (DIN EN 55022, 55024) zu erfüllen, muss ein
System so arbeiten, dass andere arbeitende Produkte nicht gestört werden. Diese müssen zudem eine
gewisse Immunität gegen elektromagnetische Beeinflussungen aufweisen. Bei der hochfrequenten
10-Gigabit-Ethernet-Anwendung sind alle Kupfersysteme abhängig von einem funktionsgerechten
Erdungssystem – auch die ungeschirmten Systeme.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen einen eindeutigen Vorteil von geschirmten Verkabelungssystemen
gegenüber ungeschirmten Lösungen. Für die Sicherstellung der Übertragung von 10 Gigabit Ethernet
ist es wichtig, die vorherrschende elektromagnetische Umgebung zu kennen und Komponenten auch unter
Berücksichtigung derselben auszuwählen. Nur eine sorgfältige Planung, die Anwendung hochwertiger
geschirmter Kabelsysteme mit kompatibler Hardware und die qualifizierte Ausführung der Installation
sind Garanten für eine erfolgreiche Performance nach aktuellen Normen. Die messtechnischen
Untersuchungen im Labor zeigen für geschirmte Systeme deutlich bessere EMV-Eigenschaften
(Störaussendung und Störfestigkeit) als für ungeschirmte Verkabelungen:

Die geschirmten Systeme erreichen bei PS ANEXT und Coupling Attenuation durchweg deutlich
bessere Werte als die ungeschirmten Systeme.

Die Systeme mit den besten Werten für Coupling Attenuation erzielten auch in den (aktiven)
Störfestigkeitstests die besten EMV-Werte. Coupling Attenuation ist der geeignete Parameter für den
Vergleich der EMV-Eigenschaften von Verkabelungen.

In Praxistests wurden die geprüften Systeme für Büros und Rechenzentren typischen Störquellen
wie Handfunkgeräten, GSM-Handys, Leuchtstofflampen etc. ausgesetzt. Die Ergebnisse waren direkt mit
den Labormessungen vergleichbar.

Die in den einschlägigen M.I.C.E.-Umgebungsklassen angegeben Werten korrelieren gut mit den in
der Praxis auftretenden Störquellen.

Eine störungsfreie Übertragung von 10GBase-T über die geprüften U/UTP Systeme lässt sich schon
in elektromagnetischen Umgebungen entsprechend der niedrigsten M.I.C.E.-Klasse E1 nicht
gewährleisten.


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