Feldmesstechnik für die erweiterte Klasse E

Mess-Wahl

1. März 2006, 0:15 Uhr | Christian Schillab/jos Christian Schillab ist als Produktmanager bei Fluke Networks Europe tätig.

Die auf 500 MHz erweiterte Klasse E verlangt nach passenden Messgeräten und -vorschriften für das Labor und den Feldeinsatz. Um Ärger bei Installation und Abnahme zu vermeiden, muss der Techniker mehr denn je auf die Auswahl der richtigen Parameter und geeigneter Werkzeuge achten.

Eine Vielzahl von Publikationen und Kongresse hatte 2005 die neue auf 500 Mhz erweiterte Klasse
E zum Thema. Diese Klasse schafft einen Verkabelungsstandard als Voraussetzung für die
10GBase-T-Übertragung, die zurzeit unter der Bezeichnung 802.3an bei IEEE entwickelt wird und bis
zum Sommer 2006 fertig gestellt sein soll. Unter diesem Blickwinkel ist es sinnvoll, sich mit den
Auswirkungen auf die Messtechnik zu beschäftigen – auch mit den weniger offensichtlichen. Sie
lassen sich folgenden Gruppen zuordnen:

Erweiterter Frequenzbereich bis 500 MHz,

Fehlen der Vorgaben für einen "zentrierten" Teststecker,

verschärfte Anforderungen durch 10GBase-T,

strengere Anforderungen an die Messgenauigkeit,

neuer Parameter "Alien Crosstalk".

Der offensichtlichste Unterschied zur bekannten Klasse E ist der von 250 MHz auf 500 MHz
erweiterte obere Frequenzbereich. Die Feldmesstechnik muss dem gerecht werden, da sich eine
mangelhafte Installationspraxis primär auf Parameter im oberen Frequenzbereich auswirkt. Ein
einfaches Hochrechnen von 250 auf 500 MHz führt also nicht zum Ziel.

Im Jahr 2003 erschien eine Vielzahl von Artikeln zum Thema "Pyramiden-Test" oder "de-embedded".
Dieses Thema ist deshalb von Bedeutung, da RJ-45-Stecker und Buchsen Kategorie-5e- als auch
Kategorie-6-Vorgaben für das maximale Nahnebensprechen (NEXT) nur dann erfüllen können, wenn in der
Buchse Kompensationskreise zum Einsatz kommen. Dabei ist es wichtig, dass der Stecker die "richtige"
Menge NEXT (de-embedded) aufweist. Ein "zu guter Stecker" würde sich ähnlich auswirken wie ein "
schlechter". Im ersten Fall würde die Buchse über – im anderen unterkompensieren, in beiden jedoch
wäre die Auswirkung gleich und die Kategorie-5e- oder Kategorie-6-Anforderung durch diese
Stecker/Buchen-Kombination nicht erfüllt. Dies betrifft natürlich auch die Feldmesstechnik, und man
erwartet von einem Prüfstecker, dass er exakt in der Mitte des erlaubten Bereichs liegt. Kenner
sprechen dann von einem "zentrierten" Prüfstecker als Grundlage für einen Test im
Permament-Link-Modell.

Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass diese "zentrierten" Eigenschaften am
zuverlässigsten durch einen Stecker erfüllt werden, dessen Design auf einer Platine basiert. Das
für Patch-Kabel übliche Verpressen eines Kabels in einem Stecker mit Klemmschneide- oder
Piercing-Technik zeigt eine für ein Prüfmittel zu hohe Varianz. Obwohl eine solche Lösung ein
lineares Verhalten auch über 250 MHz hinaus bis 500 MHz zeigt, müssen rein theoretisch die "
zentrierten" Eigenschaften des Steckers in Frage gestellt werden, da es noch an einer
Prüfvorschrift bis 500 MHz für Komponenten fehlt und eine solche auch nicht vor 2007 erwartet
wird.

Für den Zweifler bietet sich die Messung im Channel-Modell an, bei dem Patch-Kabel vom gleichen
Hersteller wie die Buchsen und das Horizontalkabel verwendet werden. Es ist aus diesem Grund zu
erwarten, dass eine Vielzahl von Herstellern ihre Systemgarantie auf einer Messung im Channel
basiert. Warum eine Messung im Channel nur unter gewissen Voraussetzungen als "Stein der Weisen"
bezeichnet werden kann, diskutiert dieser Artikel später ebenfalls. Es ist auch wichtig, zu
erwähnen, dass sich die Anforderungen an den Channel nach endgültigen Vorgaben durch IEEE 10GBase
richten und sich wohl kaum mehr ändern, während die Grenzwerte für den Permanent Link bestenfalls
ein früher Entwurf sind.

Im Jahr 2003 verglich ein Test der LANline 21 zu der Zeit in Deutschland angebotene
Klasse-E-Systeme. Interessierte Leser konnten detaillierte Testergebnisse im Web nachlesen, und es
war zu erkennen, dass nicht alle Feldtester in den Ergebnissen übereinstimmten. Ein Tester zu
Beispiel attestierte, dass sich das beste NEXT aller Systeme nur um 1,8 dB vom schlechtesten
unterschied, was wahrlich nur schwer stimmen konnte.

Ähnliches passiert auch manchmal im Feld: Während ein Feldtester dem Link ein FAIL attestiert,
widerlegt das Produkt eines anderen Herstellers dies mit einem PASS. Der Dienstleister, der die
Messung durchführt, hat zwei Möglichkeiten mit dieser Situation umzugehen:

Er hält sich an die Ergebnisse jenes Fabrikats, dem er mehr vertraut, oder

er hält sich an die Ergebnisse des "optimistischen" Modells welches ein PASS
aufzeigt und erspart sich ein Nacharbeiten des Links.

Im schlimmsten Fall kann es dann im Betrieb zu einem Problem kommen. Dies ist jedoch bei einer
1000Base-T-Applikation nur mit geringer Wahrscheinlicht der Fall, denn dazu ist die Reserve eines
Klasse-E-Systems gegenüber der Anforderung durch 1000Base-T zu groß. Bild 2 zeigt diese Reserve als
" R* ". Betrachtet man im Kontrast 10GBase-T, dann ist zu erkennen, dass Kategorie 6 "augm." keine
ähnlichen Reserven bietet. Folgendes lässt sich ableiten:

1. Die Anforderungen an die Messgenauigkeit eines Feldtesters werden durch 10GBase-T und
Kategorie 6 "augmented" verschärft. Die im Test zertifizierte Einhaltung der Grenzwerte muss auch
im Betrieb gegeben sein.

2. Auch Messungen nach gültigen Klasse-E/Kategorie-6-Grenzwerten sind als kritisch zu
betrachten, sieht doch 10GBase-T auch eine Nutzung von bestehenden Klasse-E/Kategorie 6 Channels
bis zu einer Länge unter 55 Meter vor. Typische Anwendung sind Datacenter mit kurzen Distanzen. Ein
zu "optimistisches" Messergebnis für eine derartige "Mission-Critical"-Anwendung im Rechenzentrum
könnte fatale Auswirkungen haben.

Die Genauigkeitsanforderung an Feldtester wird in ISO/IEC 61935-1 abhängig vom
Verkabelungsstandard definiert. Werte dazu stehen in Tabelle 1. Die Betrachtung soll sich wie zuvor
begründet auf die Messung des Channels und des Parameters NEXT konzentrieren, da diese Kombination
die größte Herausforderung and die Messtechnik stellt. Die Herausforderung ergibt sich aus der
Notwendigkeit, bei der Messung des Channels den Einfluss der Stecker-/Buchsen-Kombination im
Channel-Messadapter mit einem möglichst geringen Fehler auszublenden. Die Effizienz des dafür
verwendet Algorithmus unterscheidet sich von Modell zu Modell. Der Standard erlaubt daher eine
Ungewissheit (Fehler) von nahezu 6 dB (Tabelle 2).

Da anzunehmen ist, dass Klasse-E-"augmented"-Systeme der ersten Generation geringe
Systemreserven von wenigen dB für das NEXT liefern, ist eine Ungewissheit in der Größenordnung von
6 dB als problematisch zu betrachten. Bei der Auswahl eines Feldtesters ist der Anwender daher gut
beraten, nicht nur darauf zu achten, dass der Tester den zukünftigen Level-IIIe erfüllt, sondern
dass er ein Produkt wählt, das in Tests durch unabhängige Institute eine Genauigkeit sowohl im
Channel als auch im Permanent Link von besser als 1,5 bis 2 dB demonstriert.

Bild 3 zeigt einen Testbericht, in dem ein Feldtester die erlaubte Ungenauigkeit (blaue Linie
zeigt den erlaubten Messfehler nach Level-IIIe) nur im geringen Umfang ausnutzt. Für den Anwender
reduziert sich damit das Risiko, durch das Nacharbeiten von Links nach "Falschen FAILS" oder
Ausfälle im Betrieb von 10GBase-T nach "Falschen PASSES" rechtfertigen zu müssen. Erste aktive –
wenn auch proprietäre – Komponenten werden bereits vor Ende 2006 erwartet. An dieser Stelle ist es
wichtig, zu bemerken, dass ein Level-IV-Tester die Level-IIIe-Anforderung nicht automatisch
übererfüllt. Dies hängt vorrangig von der Fähigkeit des Testers ab, die erste
RJ-45-Steckerverbindungen bei der Messung des Channels auszublenden.

Ein im Zusammenhang mit 10GBase-T oft betrachteter, diskutierter und auch neuer Parameter ist
Alien Crosstalk (AXT), das Nebensprechen von einem Channel in einen über lange Distanz parallel
geführten Channel. Dieser Parameter ist bis 250 MHz von geringer Bedeutung. Bei einem
Übertragungssystem bis 500 MHz ändert sich das Bild, da die höheren Frequenzen auch eine höhere
Dämpfung und eine Verschlechterung des Signalrauschabstands also des nutzbaren Signals
bedeuten.

Alien Crosstalk (AXT) ist primär von der Konstruktion des Kabels abhängig und wird im Labor in
einer so genannten "Six-around-One"-Konfiguration geprüft. Grundlage für diese Konfiguration ist
die Erkenntnis, dass weitere Links außerhalb des "6-around-1"-Bündels einen vernachlässigbaren
Einfluss auf den Channel im Zentrum haben. Bei installierten Links ist die Situation weitaus
komplexer, da nicht bekannt ist, welche Links den "Störer" (Disturber) für einen bestimmten Link
oder das "Opfer" (Victim) darstellen. Will man auf Nummer sicher gehen, wären alle Kombinationen
innerhalb einer Etage zu prüfen. Der Messaufwand dafür wächst also explosionsartig mit der Anzahl
der Links pro Etage. Man muss demnach davon ausgehen, dass in der Praxis AXT nur im Labor in einer "
Worst-Case"-Konfiguration verifiziert ist, nämlich mit "6 around 1" oder einem ähnlichen
Szenario.

Skeptiker stellen daher die Frage, ob eine Messung nur der "klassischen" Parameter wie IL, NEXT,
ELFEXT, RL, ACR etc. überhaupt sinnvoll ist, wenn der doch so kritische Parameter AXT nicht
ebenfall kontrolliert wird. Das Ziel der Feldmessung liegt jedoch wie bereits bemerkt nicht darin,
die Leistung der Komponenten zu verifizieren, sondern die Qualität der Verarbeitung im Feld zu
überprüfen. Wenn man bedenkt, dass ein schlampiges Aufschalten (Öffnen des Verdrillung, Absetzen
der Folie) sich vorwiegend bei hohen Frequenzen auswirkt, ist zu erkennen, wie wichtig eine
Überprüfung dieser Parameter für Kategorie 6 "augmented" ist, da sich hier der Frequenzbereich von
250 auf 500 MHz verdoppelt.

Es bleibt noch die Frage offen, ob eine schlechte Verarbeitung im Feld auch zu einem
Überschreiten der AXT-Grenzwerte führen könnte. Theoretisch lautet die Antwort ja, praktisch nein,
denn man kann davon ausgehen, dass noch vor dem AXT die Messungen für NEXT und RL durch den sehr
strengen Grenzwert der Klasse-E "augmented" ein FAIL ergeben. Sind die Fehlerquellen durch
Nacharbeiten beseitigt, kann man sicher sein, dass auch die Auswirkungen für das AXT verschwunden
sind. Versuche mit experimentellen AXT-Adaptern für den DTX-1800-Kabeltester haben gezeigt, dass
bei der Verlegung der Kabel nur ein Punkt Auswirkung auf AXT hat: Je chaotischer die Kabelführung,
umso besser sind die AXT-Werte!


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