10 Gigabit Ethernet über Kupferkabel

Schirmen oder schützen

4. September 2005, 23:16 Uhr | Regina Good-Engelhardt und Burkhard Braach/jos Regina Good-Engelhardt ist Product Marketing- Managerin bei Reichle & De-Massari im schweiz- erischen Wetzikon, Burkhard Braach ist freier Fachjournalist in Reutlingen.

10 Gigabit Ethernet über horizontale Kupferverkabelung bis an den Arbeitsplatz - für viele Anwender ein Traum, für manche Planer und IT-Verantwortliche ein Albtraum. Denn wer jetzt in seine LAN-Infrastruktur investieren muss, kann nicht auf die Verabschiedung des einschlägigen IEEE-Standards warten. Er muss entscheiden: Kategorie 6 geschirmt oder ungeschirmt? Oder gleich Kategorie 7?

IEEE 802.3ae, der Standard für 10 Gigabit Ethernet über Glasfaser, wurde 2002 verabschiedet.
Seitdem dringt das am weitesten verbreitete LAN-Protokoll bis in den WAN-Bereich vor, während sich
umgekehrt das Übertragungsmedium Glasfaser vom Weitverkehr über MAN und Campusnetz bis in die
vertikale Gebäudeverkabelung vorschiebt. In der horizontalen Verkabelung ist das Kupferkabel jedoch
preislich und vom Handling her noch immer unschlagbar. Planer und IT-Verantwortliche hoffen deshalb
auf die endgültige Verabschiedung des Standards für 10 Gigabit Ethernet über Kupfer, IEEE 802.3an
(10GBase-T), die für Juli 2006 auf dem Plan stand.

Dabei ist die Anwendung klar: In Datenzentren wird 10GBase-T die günstigste Möglichkeit sein,
Server-Cluster zu bilden, und mittelfristig die Fiber-Optic-Lösungen verdrängen. Das alternative
Protokoll 10GBase-CX4, das mit 15 Metern Reichweite ohnehin nur eine beschränkte Einsatzfähigkeit
hat, wird sich kaum durchsetzen können.

Auch in die horizontale strukturierte Gebäudeverkabelung wird 10GBase-T einziehen. Denn nur
konservative Planer diskutieren die Notwendigkeit höherer Bandbreiten und Bandbreitenreserven. Es
müssen nicht unbedingt sichtbare, anspruchsvolle Anwendungen wie Multimedia-Streaming oder
Echtzeitbildverarbeitung sein: Wer sich die unsichtbar im Hintergrund laufenden Anwendungen wie
VoIP, Virencheck und Software-Updates bewusst macht, ist von steigendem Bandbreitenbedarf
überzeugt. Die Installation einer Verkabelungsinfrastruktur ist eine Investition, die mehreren
Rechner- und Softwaregenerationen genügen soll.

Die Konfusion der Kabel

Wer jetzt über eine Installation entscheiden muss, steht vor einem Dilemma. Denn solange die
IEEE 802.an nicht verabschiedet ist, können die Arbeitsgruppen von ISO/IEC und EIA/TIA, die sich
mit den nötigen Verkabelungseigenschaften befassen, keine verbindlichen Empfehlungen herausgeben.
Durch die Diskussion einer "augmented" beziehungsweise "erweiterten"
Kategorie-6-/Klasse-E-Spezifikation bei EIA/TIA und einer "New Class E" bei ISO/IEC wird für
manchen Planer die Konfusion perfekt. Ein Teil des Kabelproblems lässt sich jedoch durch eine
vernünftige Betrachtung entwirren.

Der politische Ansatz

Wenn der Standard IEEE 802.3an Erfolg haben soll, muss die Übertragung über einen Großteil
bereits bestehender Verkabelungen funktionieren. Daran sind alle beteiligten Geräte-, Komponenten-
und Softwarehersteller interessiert. Vorübergehend war bei IEEE deshalb sogar Kategorie 5e/Klasse D
als Medium im Gespräch. Aus technischen Gründen musste dieser Ansatz fallen gelassen werden. Für
die Entwicklung ging IEEE von vier Verkabelungs-Modellen mit unterschiedlichen Reichweiten aus
(Tabelle auf Seite XX).

Es geht also doch über Klasse E, und zwar nicht nur geschirmt. Denn STP (Shielded Twisted Pair)
ist nur im deutschsprachigen Raum weiter verbreitet, dem man Gründlichkeit und hohes
Sicherheitsbedürfnis nachsagt. Meist handelt es sich hier um einzeln geschirmte
S/FTP-Verkabelungen: Die Doppeladern sind einzeln mit Folien (F) geschirmt, alle vier gemeinsam
nochmals mit einem Schirm aus Drahtgeflecht (S). Die französischen Nachbarn begnügen sich meist mit
U/FTP und verzichten auf den gemeinsamen Schirm. Der große "Rest der Welt" benutzt UTP (Unshielded
Twisted Pair), genauer gesagt: U/UTP. Dies muss im Prinzip also auch für 10GBase-T genügen.

Der technische Ansatz

Bei 10GBase-T bemüht man sich zwar, die 10 GBit/s in 500 MHz Bandbreite unterzubringen, indem
man den Datenstrom auf alle vier Aderpaare aufteilt, eine raffinierte Codierung (DSQ (Double
Square) mit 128 Punkten mittels 16 x 16/2 Bit) und eine vielstufige Pulsamplitudenmodulation
(PAM16, also 16 Amplitudenstufen) vorsieht. Dennoch: Für verdrillte Datenkabel sind 500 MHz auf
Grund der hohen Kabeldämpfung "heiß". Das empfangene Signal wird mittlerweile so klein, dass es
sich kaum mehr vom Rauschen unterscheiden lässt. Nicht umsonst unternehmen die Entwickler alles, um
die möglichen Störquellen so weit wie möglich zu reduzieren. Innerhalb eines Kabels und damit
innerhalb einer 10GBase-T-Verbindung kann man Störquellen aktiv mit "lernenden" DSP-Schaltkreisen
unterdrücken – ein enormer Hightech-Einsatz, um ein paar verdrillte Drähte für 10 Gigabit fit zu
machen. Gegen die Einstreuungen von außen ist man machtlos. Denn kompensieren kann man nur, was man
kennt.

Diess gilt besonders für Alien NEXT (ANEXT), das Übersprechen von den benachbarten Kabeln und
Anschlussmodulen (Bild 1, siehe dazu auch die Artikel auf den Seiten XX und XX). Bei STP ist es
vernachlässigbar. Bei UTP hängt es nicht allein vom Kabel selbst, sondern auch von der Anordnung
der Kabel untereinander ab. Dieser erweiterte Zusammenhang ist besonders unangenehm, weil damit die
Übertragungsleistung nicht nur von den Komponenten, sondern direkt auch von der Art der
Installation abhängt.

ANEXT-Optimierung per Normierung?

Für 10GBase-T muss die Spezifikation von Kabeln und Komponenten von bisher 250 MHz auf 500 MHz
erweitert werden. Dabei gehen die Ansichten auseinander. ISO/IEC sieht für das NEXT seiner "neuen
Klasse E" eine lineare Extrapolation vor. TIA ist mit seiner Forderung nach "Cat. 6 augmented"
moderater, während IEEE selbst die Werte ab 330 MHz sehr "relaxed" sieht und für ausreichend hält
(Bild 2).

Hier muss man klar sehen: "Neu" oder "verbessert" sind die Spezifikationen, nicht unbedingt die
Kabel. Bestehende Verkabelungen können durchaus den 10-Gigabit-Anforderungen genügen. Denn Kabel
und Module, die bis 250 MHz gut waren, müssen bis 500 MHz nicht unbedingt schlecht sein. Dies gilt
vor allem für hochwertige STP-Installationen.

Der größte Unsicherheitsfaktor ist auch nicht das NEXT, sondern das Alien NEXT. Und dafür fehlen
verbindliche, reproduzierbare Testprozeduren. Denn um geeignete Testszenarien festzulegen, müsste
man wissen: Über welche Strecken laufen die Kabel in realen Installationen parallel, und wie dicht
liegen sie beieinander? Paradoxerweise tritt ANEXT bei der "ordentlichen" Verlegung stärker auf als
bei der verrufenen "Spaghetti-Verkabelung". Ein Versuch im Testlabor von Reichle & De-Massari
mit herkömmlichem UTP-Kabel, einmal konsequent parallel geführt, einmal nur alle 30 cm
zusammengebunden, ergab ANEXT-Unterschiede von 10 dB!

Hersteller von Kabeln und Komponenten versuchen deshalb, "Sicherheit einzubauen". Um NEXT zu
reduzieren, ist es das einfachste, den Abstand der Adernpaare innerhalb des Kabels zu vergrößern.
Gegen ANEXT und andere Einstreuungen helfen größere äußere Kabeldurchmesser und eine kürzere
Schlaglänge bei der Verdrillung. Das bringt manche "optimierten" UTP-Kabel auf rund 10 mm
Durchmesser! Zu einer solchen Lösung gehören auch meist neue Patchpanels und Dosen mit größeren
Abständen zwischen den Anschlüssen.

Anspruchsvollere Ansätze bestehen darin, das Prinzip der Schirmung auf die ungeschirmte Technik
zu übertragen. So arbeitet Reichle & De-Massari zusammen mit dem norwegischen Kabelhersteller
Draka an einer Lösung, bei der Foliensegmente das Kabel schützen. Sie sind sowohl gegenseitig als
auch nach außen hin vollständig isoliert und so kurz, dass sie keine Ausgleichsströme führen und
nicht als Antenne wirken (Bild 4). Die zugehörigen Anschlussmodule sind mit entsprechenden
Schirmblechen versehen. Damit erreicht man eine Verbesserung der ANEXT-Werte, ohne dass Schirme
kontaktiert werden müssen.

Das Thema Erdung

Keine Schirmkontaktierung – also auch keine Probleme mit der Erdung? Gerade das Gegenteil ist
der Fall. Denn wenn die Kabel in einem metallenen, geerdeten Gestell oder Kabelkanal verlegt sind,
ist die (Gleichtakt-)Kopplung entscheidend. Sehr gut geschirmte Verkabelungen haben eine
Gleichtaktunterdrückung gegen Erde von typisch 40 dB, ungeschirmte erreichen kaum 10 dB. Wenn bei
STP also Störspannungen von 2,5 V bei 100 MHz auf dem benachbarten Erdleiter tolerabel sind, sind
es bei UTP nur 0,05V bei 100 MHz! Ein sauberes, konsequentes Erdungskonzept nach EN 50174-2 oder EN
50310 ist deshalb gerade für UTP Systeme lebensnotwendig.

Kategorie 6 - geschirmt oder ungeschirmt?

Wer bereits eine Kategorie-6-UTP-Installation hat und die Komponenten weiterhin einsetzen
möchte, muss fallweise nachmessen – und gegebenenfalls nachbessern. Eine Vorgehensweise für
ANEXT-optimierte Installationspraktiken und Verbesserungsmethoden wird in ISO/IEC TR 24750 oder TIA
TSB 155 beschrieben. Häufig wird es aber der Fall sein, dass gewisse Installationen oder Teile
davon so nicht realisierbar sind.

Wer 10GBase-T-Tauglichkeit auf allen Links mit hundertprozentiger Sicherheit erreichen möchte,
muss eine speziell dafür ausgelegte UTP-Lösung oder besser gleich eine STP-Lösung einsetzen.
Dadurch ist er auch von den oben beschriebenen Installationsfaktoren unabhängig. Dabei sind nicht
die Materialkosten allein, sondern die Gesamtkosten zu betrachten – einschließlich einer
Risikobewertung. Denn eine Verkabelung mit Kategorie-6-STP-Komponenten ist "von Natur aus"
10-Gigabit-tauglich. Bei einem Channel mit optimierten UTP-Komponenten ist dagegen nur bei
einwandfreier Installation die Tauglichkeit zu erwarten.

Warum nicht gleich Kategorie 7?

Ohne Frage: Die Kabel bieten für die Zukunft auf Grund der geringeren Dämpfung und der besseren
Schirmeigenschaften Reserven, und der Mehrpreis spielt im Vergleich zu den Gesamtkosten keine große
Rolle. Das Problem sind die Kategorie-7-Steckverbinder. Gleich zwei genormte, jedoch nicht
kompatible Systeme stehen zur Wahl: IEC 60603-7-7 in Anlehnung an RJ45 und IEC 61076-3-104 mit
einem völlig neuen Konzept. Der Kunde steht damit vor dem Zwang, sich für ein System entscheiden zu
müssen, das zwar genormt ist, aber dennoch alle Nachteile einer proprietären Lösung mit sich
bringt. Und solange die Endgeräte nicht mit der entsprechenden Kategorie-7-Steckverbindung
ausgerüstet sind, braucht er zum Anschluss ein Hybridkabel. Spätestens an dessen Ende mit dem
RJ45-Stecker wird der Channel wieder deklassiert – auf Kategorie 6.


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